Über StiEL
Im anwendungsbezogenen Forschungs- und Entwicklungsprojekt StiEL werden auf Basis eines nationalen und internationalen Screenings und der Durchführung von Interviews mit schulischen und außerschulischen Expert_Innen Module für inklusionsorientierte Fort- und Weiterbildung für Lehr- und pädagogische Fachkräfte allgemeinbildender und beruflicher Schulen entwickelt, die im Anschluss in ausgewählten Schulen aus drei Bundesländern mit quantitativen und qualitativen Methoden auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Dabei gehen wir davon aus, dass für eine Professionalisierung für Inklusion einerseits unterrichtlich-didaktische und lernprozessbegleitende diagnostische Kompetenzen in an Inklusion orientierten Schulen benötigt werden. Andererseits dürfte aber auch die Förderung fächerübergreifender Kompetenzen (u.a. soziales Lernen und Menschenrechtsbildung) von Bedeutung sein. Auf Basis der Evaluationsergebnisse werden die Fortbildungsmodule schließlich zu einem modularen Fortbildungssystem verdichtet, das an einer inklusiven Schulpraxis beteiligten pädagogischen Fachkräften direkt zur Verfügung gestellt bzw. empfohlen werden kann.
Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention und den daraufhin in den meisten Bundesländern geänderten Schulgesetzen hat sich Deutschland verpflichtet, ein inklusives Bildungssystem einzurichten. Aber nicht erst seitdem sieht sich die schulische Bildung mit einer zunehmend heterogenen Schülerschaft konfrontiert. Damit sehen sich vor allem die einzelnen Schulen vor große Herausforderungen gestellt. Insbesondere ist eine angemessene Qualifizierung des pädagogischen Personals erforderlich, um den unterschiedlichen Lern- und Entwicklungsvoraussetzungen der Schüler_innen gerecht werden zu können.
Mit der Förderlinie „Qualifizierung der Pädagogischen Fachkräfte für inklusive Bildung“ hat sich das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zum Ziel gesetzt, wissenschaftlich fundierte Grundlagen für das professionelle Handeln pädagogischer Fachkräfte für inklusive Bildung in unterschiedlichen Bildungsbereichen zu schaffen. In diesem Rahmen hat es sich der StiEL-Projektverbund der Pädagogischen Hochschule Freiburg, der Universität Bielefeld und der Universität Potsdam zur Aufgabe gemacht, ein Fortbildungsprogramm zu entwickeln und zu evaluieren, welches die Lehr- und pädagogischen Fachkräfte an allgemeinbildenden Schulen der Sekundarstufe I und an beruflichen Schulen bedarfsorientiert adressiert. Die Weiterqualifizierung der pädagogischen Fachkräfte soll somit zu einer Erweiterung ihrer professionellen Handlungskompetenz beitragen, die nicht zuletzt auch eine positive Veränderung der schulischen Erfahrungen auf Seiten der Schüler_innen bewirken kann.
Vorhandene Forschungsergebnisse zu inklusionsbezogenen Haltungen und Einstellungen von Lehrkräften zeigen übereinstimmend, dass Lehrkräfte in der Mehrheit zwar eine eher positive Einstellung haben, wenn es um Inklusion als ein generelles Ziel geht, gleichzeitig aber hinsichtlich der Möglichkeiten praktischer Umsetzung eher skeptisch oder zurückhaltend eingestellt sind. Diese überwiegend skeptischen Einstellungen beruhen einerseits darauf, dass die jeweiligen eigenen Kompetenzen zur Durchführung inklusiven Unterrichts als eher gering eingeschätzt werden. Andererseits werden die schulpolitischen und schulischen Rahmenbedingungen (z.B. fehlendes sonderpädagogisch qualifiziertes Personal, unzureichend differenziertes Unterrichtsmaterial) oftmals als mangelhaft betrachtet. Insbesondere werden die erworbenen und erwerbbaren Qualifikationen in der Lehrkräfteausbildung und -fortbildung als unzureichend wahrgenommen. Zwar gibt es eine kontinuierlich anwachsende Forschung zu Inklusion, wie z.B. umfangreiche fachdidaktische Anstrengungen im Umgang mit Inklusion und Heterogenität, erhebliche Fort- und Weiterbildungsbemühungen des pädagogischen Personals an Schulen sowie auch partielle Umbauten des Schulsystems und der Lehramtsstudiengänge. Dennoch ist bislang noch zu wenig bekannt über die genaueren Hintergründe und Zusammenhänge der eigenen Zuschreibung von Kompetenzdefiziten auf Seiten der pädagogischen Fachkräfte. Ebenso fehlen genauere Kenntnisse darüber, welche inklusionsbezogenen Themen und Formen der Lehrkräftefort- und Weiterbildung zu welchen messbaren Konsequenzen bei den Lehrkräften, im Kollegium, in der Schulklasse und zu einem insgesamt inklusionsfreundlichen Schul- und Klassenklima beitragen.
Diese Desiderata sollen im StiEL-Projekt im Rahmen eines zweistufigen Vorgehens adressiert werden. In einer ersten Projektphase sollen Fort- und Weiterbildungsmodule entwickelt werden, die sich für eine auf wesentliche inklusionsrelevante Inhalte fokussierte Fortbildung des pädagogischen Fachpersonals eignen. Der Entwicklung einer solchen kompakten Fortbildung gehen zwei Vorstudien voraus: Auf der Angebotsseite wird ein Screening bestehender nationaler und internationaler inklusionsorientierter Fort- und Weiterbildungsangebote für Lehrkräfte und weiteres pädagogisches Personal durchgeführt und in Bezug auf Kerninhalte, Methodik, Zielgruppenorientierung und Qualitätskriterien inhaltsanalytisch ausgewertet. Auf der Nachfrageseite werden im Vorfeld der Entwicklung des Fortbildungskonzepts Expert_innen-Interviews mit Lehrkräften, Schulleitungen und weiterem pädagogischen Personal, mit Expert_innen für Aus-, Fort- und Weiterbildungsgänge sowie mit Interessenverbänden von Lehrkräften und Gewerkschaften, Elternvereinen und Repräsentanten weiterer mit schulischer Inklusion befasster Verbände und Organisationen durchgeführt. Hier ist es das Ziel, die zugrundeliegenden Inklusionsverständnisse sowie insbesondere inklusionsbezogene Bedarfe und praxisbezogene Herausforderungen zu erheben, aber auch bereits vorhandene inklusionsrelevante Kompetenzen und Fertigkeiten auf Seiten der Lehrkräfte zu identifizieren. Wir gehen zunächst davon aus, dass die einzelnen Module eines geeigneten und in der Schulpraxis präsumtiv wirksamen inklusionsorientierten Fortbildungskonzepts mindestens die folgenden in der Diskussion um schulische Inklusion vielfach benannten zentralen Schwerpunkte adressieren: Inklusive Didaktik und Diagnostik, Multiprofessionelle Kooperation, Schulentwicklung/ Quartiersentwicklung, Inklusionsverständnis und Heterogenität, Menschenrechtsbildung und Soziales Lernen sowie Leistungs- und Lernzieldifferenzierung. Die finale Ausgestaltung und Strukturierung der einzelnen Module ist aber letztlich von den Ergebnissen des Screenings sowie der qualitativen Auswertung der Expert_innen-Interviews abhängig.
Im Anschluss und auf Basis der Modulentwicklung werden – in der zweiten Phase des StiEL-Projekts – Fortbildungen für Lehrkräfte und multiprofessionelle Teams in zufällig ausgewählten allgemeinbildenden und beruflichen Schulen in den drei beteiligten Bundesländern durchgeführt. Diese Intervention wird dann im Verlauf eines Schuljahres in einem Mixed-Method-Design quantitativ und qualitativ auf ihre Evidenz (z.B. hinsichtlich Wirksamkeit, Akzeptanz, schulorganisationale Integration, schulisches Interaktionsklima, inklusionsbezogene Einstellungen, Selbstwirksamkeit) hin untersucht, um so Effekte der Fort- und Weiterbildung angemessen einschätzen zu können. Die in den Fort- und Weiterbildungen erworbenen Kenntnisse und Kompetenzen der Lehrkräfte und die Transformation des Gelernten in das Unterrichtsgeschehen und in den schulorganisatorischen Alltag werden einerseits psychometrisch im Längsschnitt (Interventions- und Kontrollgruppendesign) auf Basis von quantitativen Befragungen der Schüler_innen und Lehrkräfte ausgewählter Schulen und Klassen und andererseits mittels fokussierter Ethnografie (Teilnehmende Unterrichtsbeobachtungen und Gruppeninterviews mit Lehr- und pädagogischen Fachkräften, Eltern sowie Schüler_Innen im Rahmen eines Subsamples von Schulen und Klassen) untersucht, so dass gesicherte Aussagen über die Effekte und Transformationen der durchgeführten inklusionsorientierten Fort- und Weiterbildungen getroffen werden können. Dieses Vorgehen soll zur Evidenzbasierung der Bildungsmaßnahmen auf der Ebene der Kompetenzentwicklungen der einzelnen Schüler_Innen, auf der Ebene von Schulklassen sowie von Einzelschulen beitragen, so dass auf dieser Grundlage bildungspolitische Empfehlungen und Handlungsvorschläge abgeleitet werden können.
Auf Basis der Evaluationsergebnisse werden die Fortbildungsmodule noch einmal überarbeitet und schließlich zu einem integrierten Fort- und Weiterbildungskonzept verdichtet, das an einer inklusiven Schulpraxis beteiligten pädagogischen Fachkräften in den drei Bundesländern direkt zur Verfügung gestellt oder empfohlen werden kann. Gelingt das Vorhaben, wäre es aus unserer Sicht ein wichtiger Beitrag, die augenblicklich noch massive Kluft zwischen den mit Inklusion verbundenen menschenrechtlichen Grundlagen und normativen Erwartungen einerseits und der alltäglichen schulpraktischen Umsetzung andererseits zu reduzieren.